Sonntag, 17. Juni 2018

Nachtrag: Up Helly Aa

Hello my dears!

Meine Güte ist das wieder eine Ewigkeit her seit ich mich das letzte Mal hier gemeldet hab - inzwischen ist es Sommer, die Vögel zwitschern in ohrenbetäubender Lautstärke und die Sonne lacht vom Himmel. Seit knapp 6 Monaten bin ich nun in der Landeshauptstadt und natürlich habe ich in den letzten Monaten so einiges erlebt - und das will ich euch nicht vornenthalten! Ihr müsst ein wenig Nachsicht mit mir haben, in den letzten Wochen und Monaten habe ich so viel gearbeitet wie wohl noch nie in meinem Leben. Die Tage im Büro sind lang und unglaublich anstrengend und wenn ich dann am Abend nach Hause komme ist mir eher nach tot auf dem Bett liegen als nach poetische Texte schreiben - ich gelobe Besserung! Ich hab euch noch sooo viel zu erzählen: von meinem Ausflug nach Kent, der royalen Hochzeit oder Trooping the Colours, wo ich letztes Wochenende die Queen gesehen hab! Aber zuerst muss ich noch meine vorherigen Ankündigungn wahrmachen und euch endlich von Up Helly Aa erzählen - dem absolut durchgeknallen Festival welches wir Anfang des Jahres auf Shetland besucht haben. 



Der ganz Grund warum wir nach Shetland gefahren sind, neben der ungaublich schönen Landschaft, war dieses Festival. Es ist so einzigartig und außergewöhnlich, und so schwer dahin zu kommen, deswegen dachten wir wir müssen unsere Chance nutzen so lange wir noch in Schottland wohnen (dass ich dann 3 Wochen vorher nach London gezogen bin erwähnen wir hier einfach mal nicht). Selbst von Schottland aus ist es immer noch langwierig und vor allem sehr teuer nach Shetland zu kommen, und wenn man einmal dort ist, ist es für den Normalbürger fast unmöglich an Tickets zu kommen. Viele Aspekte des Festivals sind zwar öffentlich und man kommt auch ohne Ticket rein, aber der richtige Spaß geht erst nachts in den Sälen los, für die man Tickets braucht. Deswegen haben wir die ganze Reise mt Haggis Adventures gebucht, einer Reiseagentur in Edinburgh speziell für junge Erwachsene. Mit denen haben wir schon einmal gute Erfahrungen gemacht - und es war wieder super. Aber der Reihe nach!

Schon am Tag vorher haben unsere Guides uns eingenordet, haben uns Lieder zum lernen gegeben und den ganzen Ablauf im Detail erklärt. Es gab so viele Dinge zu beachten und zu wissen! Sie haben auch gesagt dass wir am Abend vorher früh ins Bett gehen und nochmal ordentlich schlafen sollen, denn wenn wir am nächsten Morgen gegen 7 aufstehen werden wir von da an ca. 36 Stunden wach sein. Da wurde ich das erste Mal ein bisschen stutzig, denn es klang nicht so wie ein lustiges "komm wir haben eine tolle Party und gehen einfach nicht schlafen" sondern eher wie ein "du DARFST micht ins Bett gehen". Und schon bald sollten wir erfahren warum. 

Up Helly Aa ist immer am letzten Dienstag im Januar, in der dunkelsten Zeit des Jahres (und im hohen Norden, auf Shetland, ist das verdammt dunkel). Gefeiert wird quasi einen Tag und eine Nacht, in verschiedenen Etappen, und zwar so hardcore dass der nächste Tag schon vor Jahrzehnten zum Feiertag erklärt wurde. Der ganze Tage dreht sich um den Jarl und seine Truppe (wir reden hier übrigens die ganze Zeit von Wikingern, nur zur Info). Um Jarl zu sein muss man mindestens 15 Jahre lang Mitglied in der Up Helly Aa society gewesen sein und demzufolge ansäßig auf Shetland. Jedes Jahr wird also ein Mann der Runde gewählt, der der neue Jarl ist. Diese Rolle hat er dann für ein Jahr inne, bis er am Ende des Festivals an den neuen Jarl übergibt, der dann alle Vorbereitungen für das nächste Jahr leitet. Wer der nächste Jarl ist wird auch schon Jahre im Vorraus festgelegt, damit sich die Männer einen Bart wachsen lassen können, ohne Mist! Obwohl zugegegebenermaßen die meisten Männer auf Shetland eh Bärte hatten. 

Nach einem Jahr Vorbereitung, in dem Boote gebaut, Uniformen genäht und Performances eisntudiert werden, geht der große Tag nun endlich los, mit einen großen Frühstück beim Stadtrat. Da das Gebäude von denen direkt neben unserem Hostel lag (ihr seht, Shetland und vor allem die Hauptstadt Lerwick ist seeeeehr klein), hatten wir einen super Blick, während wir uns im Morgengrauen fertig gemacht haben. Der Jarl ist also der Boss, hat aber eine ganz Entourage von fellow vikings mitgebracht. Bis zu 50 Leute kommen da mit, meistens Brüder, Kinder, Cousins, und andere männliche Freunde. Es ist eine große Ehre in der Jarls Squad zu sein und man muss vom Jarl persöhnlich dazu ernannt werden. Und da ist dann wirklich groß und klein dabei, alte Opas genauso wie wirklich sehr junge kleine Wikinger, wie dieser kleine Mann hier: 




Obwohl eine große Ehre, ist es auch echte knochenarbeit in der Jarl's Squad zu sein - in winzigen Outfits und bei klirrender Kälte müssen diese nun den ganzen Tag und die ganze Nacht von Ort zu Ort ziehen, in Schulen, Krankenhäuser und Altenheimen auftreten und immer wieder ihre Songs performen. Wir hatten Glück und es war tagsüber relativ trocken - aber das hätte auch ganz anders ausgehen können.








Ein anderer wichtiger Bestandteil des Festivals ist die Galley, zu Deutsch Langboot, welches im Wikingerstil von der Jarl's Squad in mühevoller Handarbeit gebaut wird. Dieses wird am Morgen von den Wikingern in einer großen Zeremonie an den Hafen gebracht, wo es dann den Tag über für Fotos posiert. 



An meinem Outfit erkennt ihr, es war sehr regnerisch und sehr kalt - eindeutig kein Wetter um kurzärmelig rumzulaufen, wie die Wikinger es taten!

Nachdem wir also ein paar Aufritte von der Squad angeschaut haben, hatten unsere Guides Tickets für ein Konzert organisiert, welches am frühen Nachmittag statt fand. Dort haben junge Talente von Shetland traditionelle Musik aufgeführt, vor allem mit der Fiddel. Ich weiß nicht warum, aber ich find sowas klasse, geht richtig ab! 

Im Anschluss haben wir uns schnell umgezogen (Guides: "Zieht jedes Kleidungsstück an, dass ihr im Koffer habt!") und dann wurde es spannend, denn es ging endlich an den eigentlichen Höhepunkt des Tages: die Fackelzeremonie. 
Zusätzlich zu der Jarl's Squad können auch alle anderen Männer die auf Shetland leben, Squads bilden und an der Zeremonie teilnehmen. Dieses Jahr gab es über 40 Squads, die dann meistens aus 15-20 Männern bestehen, die alle in den verrücktesten Kostümen kommen. Um Teil einer solchen Squad zu sein muss man seit mindestens fünf Jahren auf Shetland leben, so wollen die Organisatoren vermeiden dass es zu touristisch wird. Angeleitet von der Jarl's Squad bekommt nun jeder der Guizer (so heißen die Leute von den Squads) eine Fackel in die Hand und es geht in einer ca. einstündigen Prozession durch die Stadt. Und so wie das ganze Festival ist das eine sehr ernsthafte Angelegenheit, für das ganze Feuerspektakel werden alle Straßenlaternen und sämtliche Beleuchtung (sogar der Strom in den anliegenden Häusern!) abgedreht, damit es auch wirklich stockdunkel ist. Ein Leuchtschuss vom Rathaus markiert den Startschuss, und dann geht es auch los. 






Nachdem die Guizer also singend und brüllend (denn wir sind ja alle Wikinger) ihre Runden gedreht haben, versammeln sie sich alle im Kreis um die Galley, das Boot, welches schön in der Mitte aufgestellt ist. Das war definitiv einer der beeindruckendsten Momente, mehr als tausend Guizer umrundeten das Boot mit funkensprühenden Fackeln und sangen ihre mystischen Lieder, alles in absoluter Dunkelheit. Vollkommen abgefahren! Und auf ein bestimmtes Zeichen vom Jarl werfen dann diese mehr als tausend Guizer ihre Fackeln auf die Galley, die dann natürlich in einem flammenden Inferno runterbrennt - absolut faszinierend!







Bis hierher kann man auch alles ohne Tickets machen, aber jetzt geht der Abend ja erst richtig los, und für alles weitere ist man als Solo-Reisender aufgeschmissen. Nachdem die Gulley abgebrannt ist, gehen alle locals in ihre jeweiligen Hallen (Sporthallen, Konzerthallen, Vereinsräume etc.) und veranstalten eine PRIVATE Party. Einer organisiert das und lädt alle seine Freunde, Verwandte und Bekannte ein, sodass eine ganz gute Gruppe zusammen kommt. Die größeren Hallen haben so um die 400 Gäste, in den kleineren sind es nur um die 50. In diesem Jahr gab es glaube ich 14 Hallen in denen die Partys stattfanden und nur zwei davon waren öffentlich. Das heißt wenn man einfach so dahin kommen würde, ohne eine organisierte Tour, hätte man so gut wie keine Chance irgendwo rein zu kommen. Denn auch für die öffentlichen Hallen kann man nicht einfach so online Tickets kaufen - öffentlich heißt in diesem Falle dass Leute die nicht von Shetland kommen reingelassen werden, aber man muss trotzdem jemanden kennen um an Karten zu kommen. Haggis Adventures ist momentan der einzige Veranstalter der Tickets dafür organisieren kann, da sie dort schon seit Jahren hinfahren und es geschaft haben gute Beziehungen zu den locals aufzubauen. Die normalerweise jungen Gäste von Haggis machen gute Stimmung und bleiben bis zum Schluss (daher dass "Ihr MÜSST wach bleiben"), deswegen waren die Organisatoren bisher immer gewillt ein paar Tickets zur Verfügung zu stellen. Natürlich mussten wir diesen Ruf aufrecht erhalten, nicht zuletzte damit nächstes Jahr andere auch wieder hinfahren können, also machten wir uns mental und physisch vorbereitet (sprich mit eine Tesco-Beutel voll Getränken) auf den Weg.

Der ganze Abend wird domininiert von den Besuchen der über 40 Squads, inklusive der Jarl's Sqaud. Diese reisen nun von Halle zu Halle und geben überall eine Performance. Oben auf der Bühne stand eine große Tafel auf der man sehen konnte wer schon da war und wer noch kommt. Meistens sind es eine Art von Tanz den die Truppen aufführen, manche singen auch oder machen andere Kunststücke. Unterbrochen werden die Vorführungen von Tanzrunden, in denen alle Gäste Ceilidh tanzen, den traditionell schottischen Tanz. Mit live music und hunderten von einheimischem Shetländern haben auch wir es hinbekommen den einen oder anderen Tanz mitzumachen, obwohl wir oft mehr rumgeschubst wurden als dass wir wirklich wussten was wir taten. Ceilidh ist unglaublich lustig, jeder kann mitmachen und es macht einen riesigen Spaß - und es ist ein super workout! Die meiste Schotten lernen auch heutzutage noch in der Schule wie man tanzt, es gibt unendlich viele Schrittkombinationen die am Anfang des Liedes immer vom Moderator angesagt werden. Alle anderen wussten dann immer sofort was zu tun war, wir haben uns immer irgendwie reingemogelt - es ist einfach zuuu lustig um das zu verpassen. 







Und so verginen die Stunden, von Abend wurde Morgen und die Squads kamen und gingen. Das große Ziel ist es bis zum Morgen durchzuhalten und wirklich alle Squads zu sehen, denn nur dann hat man Up Helly Aa wirklich erlebt. Um das zu schaffen, gab es im Foyer eine Armee von kleinen alten Omis, die im Akkord Brote schmierten und kleine Kuchen und Suppen vorbereiteten, um die müden Tänzer und Guizer wieder aufzupeppeln. Die waren wirklich total niedlich, haben immer gefragt ob wir noch etwas brauchen und klopften uns auf die Schultern und sagten "You are doing well!" Ein paar Mal mussten wir dort Pause machen und bei Tee und starkem Kaffee von den anscheinend nie müde werdenden Omis anfeuern lassen. 

Ich weiß nicht so ganz wie, aber irgendwie haben wir es auch tatsächlich geschafft und sind bis früh kurz nach 8 da geblieben, bis dann auch die letzte Squad performt hatte. Unglaublich müde, aber auch irgendwie stolz dass wir das ganze durchgehalten hatten, haben wir uns dann zum Frühstück zurück ins Hotel geschleppt, und waren nach einer schnellen Dusche auch schon wieder im Bus, um noch mehr von dieser wunderbaren Insel zu sehen. 


Fertig, aber glücklich!

Alles in allem kann man sagen, Up Helly Aa ist absolut bekloppt, in einigen Fällen ziemlich seltsam und in jedem Fall unglaublich anstrengend - aber es ist auch super lustig, 100% authentisch und absolut einzigartig. Wer irgendwann mal einen Trip nach Shetland plant, macht es wenn Up Helly Aa ist - ihr werdet es nicht bereuen!