Mittwoch, 30. Oktober 2019

Gebrochene Zehen und gestandene Wellen - Surfen in Portugal

Hello my dears, 

nach einem wunderschönen Wochenende in Lissabon kamen wir in Santa Cruz an, einem kleinen, verschlafenem Städtchen eine Stunde nördlich von Lissabon. Zwar war es schon kurz vor acht als wir aus dem Auto stiegen, der extrem eisige Wind der uns um die Nase wehte überraschte aber doch kurz. War es nicht Anfang Juli und wir in Südeuropa? Bei klammen 18 Grad drehten wir eine erste Runde durch das Städtchen, in dem es so viele Einbahnstraßen gibt dass wir schon an unserem ersten Abend einige der Gassen eine handvoll mal abgefahren sind. Wenigstens hatten wir das Gefühl uns gleich gut auszukennen.






Wie auch schon in Fuerteventura vor einem Jahr haben wir uns wieder dazu entschieden ein Surfcamp zu buchen. Zwar könnten wir inzwischen auch alleine mit den Boards losziehen, aber so ist es doch wesentlich einfacher. Man muss sich nicht um das Equipment kümmern, wird immer an die besten Spots gefahren, hat Locals die einen die Besonderheiten und Gefahren erklären können und natürlich auch immer eine handvoll Surflehrer dabei, die alle ihre eigenen Tips und Tricks haben und von denen man lernen kann. Außerdem ist das ganze so meistens wesentlich günstiger. 

Diesmal haben wir uns für das Cliff Surfcamp entschieden. 20 Minuten zu Fuß vom Stadtkern liegt das riesige Haus in einer kleinen Straße in einem Wohngebiet, mit vielen Balkonen und einer super chilligen Terrasse. Es war absolute Ruhe und von unserem Zimmer aus konnten wir das Meer rauschen hören - was will man mehr?




Die Außentemperatur war der erste Hinweis, spätestens am nächsten Morgen als es ans Surfen ging haben wir nun endgültig begriffen dass wir hier noch nicht in der Hauptsaison sind: kaum eine handvoll Surfer quälte sich in die dicken und langen Wetsuits, wir waren mal wieder fast alleine. Nur einmal brauchten wir zwei Vans, ansonsten waren wir eigentlich nie mehr als sieben Leute, einmal sogar nur zu dritt. Wie sich herausstellt ist die Saison an der Atlantikküste ziemlich kurz, der kalte Atlantikwind sorgt selbst im Juli noch für frische Temperaturen und wenn man Pech hat (so wie wir in den ersten Tagen) kommt auch noch kaltes Wasser von Norden hinzu. Die Hochsaison ist wohl nur von Ende Juli bis Anfang September, wenn die Temperaturen auch mal an die 30 Grad kommen. Wir waren also noch in der Vorsaison, und mussten dementsprechend alles anziehen was wir hatten. Was in Philips Fall ein Pullover war. Für die ganze Woche. Tja. 




Aber egal, die meiste Zeit waren wir sowieso im Wasser. An sechs Tagen surfen waren wir an vier verschiedenen Spots, was ziemlich cool war. Es ist immer super spannend neue Locations auszuprobieren, zu sehen wie die Wellen sind, die Gezeiten zu beobachten und wie sich dadurch das Surfen ändert. Meistens waren wir an Stränden in und um Peniche, ein absolutes Surfmekka und Austragungsort vieler internationaler Surfwettbewerbe. Wie immer bestehen die Tage aus Auto fahren, die Wellen checken und für gut befinden, sich in den Wetsuit quälen, aufwärmen, und dann 2-3 Stunden im Wasser verbringen. Die Gruppe war fast jeden Tag eine andere, was das ganze spannend machte, konnte man doch immer wieder neue Leute kennen lernen und von deren Erfahrungen lernen. 





Schon am ersten Tag hat es Philip irgendwie zu Stande bekommen sich die Zehe zu brechen, was er im kalten Atlantik erst gar nicht mitbekommen hatte, die lila-pinke Verfärbung am Abend sprach jedoch Bände. Ich habe mir im Laufe der Woche den kompletten Spann aufgerieben, was das Laufen in jeglichen Schuhen unmöglich machte (und das noch für gute vier Wochen nach dem Trip). Aber egal, im Wasser merkt man es nicht und ein paar Surfverletzungen gehören ja schließlich auch dazu. 




So verging die Woche, am Vormittag surften wir, am Nachmittag schlenderten wir entweder durch den Ort oder machten Ausflüge in die Umgebung. Zum Beispiel zu einem Board Shaper, der die ultra teuren high-tech Boards der Profis von Nazaré herstellt (dazu gleich mehr). Unser Surflehrer ist mit dem Shaper befreundet und hat uns gleich selbst durch die kleine und sehr rustikale Werkstatt mitten in der portugiesischen Pampa geführt. Ich werde euch nicht mit den Details langweilen, aber so ein Surfbrett herzustellen ist echt eine Kunst. Jedes Detail des Surfers wird beachtet, Größe und Gewicht natürlich, aber auch wie wendig er das Board haben will, ob er lieber zackige Kurven fährt oder schnell die Welle entlang rasen will. Es war echt ultra spannend!






Einen Nachmittag sind Philip und ich dann auch nach Nazaré gefahren, das berühmte Dorf an der portugiesischen Küste, welches jedes Jahr zum Hotspot für die wagemutigsten Surfer dieser Welt wird. Durch einen besonders tiefen Graben im Meeresboden, der erst wenige hundert Meter vor der Küste nach oben kommt, entstehen an diesem Strand Wellen bis zu 30m Höhe. Und es gibt tatsächlich ein paar mega mutige (oder bekloppte) Surfer, die sich da herunterstürzen. Mit Jetskis werden sie in die Wellen gezogen, denn das kann nun wirklich niemand mehr paddeln, und hoffen bei jedem Versuch dass sie am Ende heil unten rauskommen. (Hier eine super Sportschau Doku rund um den deutschen Surfer Sebastian Steudtner) Dass das ganze wirklich kein Spaß ist zeigte das kleine Museum, in dem nicht nur mega coole Videos gezeigt wurden, sondern auch spezielle Wetsuits mit Luftkammern, die den Surfer im Ernstfall halbwegs vor dem gewaltigen Aufprall von Millionen Litern Wasser schützen sollen. Auch eine ganze Reihe zerbrochene Bretter wurden da ausgestellt - und wie wir ein paar Tage vorher beim Boardshaper gesehen haben, sind das nicht die ultraleichten Boards die man als normaler Surfer haben will. Das sind richtig dicke schwere Dinger, die so ein hohes Gewicht haben um den Kräften von Nazaré irgendwie standzuhalten. Doch selbst die brechen wie Zahnstocher, wenn man eine 30m Welle nicht ordentlich surft. So bewundernswert und aufregend ich das ganze finde - ein ordentlicher wipe out auf einer kleinen Babywelle, mit ziemlich guten Chancen auf Überleben reicht mir eigentlich vollkommen. 






Und so zogen die Tage ins Land, mit jedem Ausflug lernten wir ein bisschen mehr und hatten die Boards ein wenig besser unter Kontrolle. Ein Tag war jedoch ganz besonders, und wird mir wohl für immer in Erinnerung bleiben: als wir aus irgendeinem Grund nur zu dritt waren, entschied unser Surflehrer an einen Strand zu fahren der ein paar größere Wellen hatte, an dem es ein bisschen ruppiger zuging. Angespornt vom peitschenden Wind sprangen wir in die Wellen - und kamen nicht sehr weit. Um beim Surfen an die guten Wellen zu kommen muss man ins line up, also an den Punkt hinter den brechenden Wellen. Denn man möchte idealerweise nicht erst lospaddeln wenn die Wellen schon gebrochen sind (das geht auch, nennt sich white water surfing und ist das womit jeder anfängt, aber wir wollten ja ein bisschen besser als die blutigen Anfänger), sondern in der Zone sein wo man green waves nehmen kann, also ungebrochene Wellen. Das Problem ist bloß, dass um dahin zu kommen, man sich erstmal durch die ganzen brechenden Wellen durchkämpfen muss. Und das waren nicht wenige. Es hat eine gute halbe Stunde mit ständigem Paddeln, Fluchen, durch die Wellen vom Brett geworfen werden und und und gedauert, bis ich es endlich ins line up geschafft hatte. Von Philip und unserer anderen Mitstreiterin war nichts zu sehen, nur ich und drei Surflehrer. Von da an unternahm ich etliche Versuche eine ordentliche Welle zu nehmen, und scheiterte wieder und wieder. Was bei kleinen Wellen näher am Strand ohne Probleme ging, war jetzt schier unmöglich. Die für mich großen Wellen mit knapp zwei Metern hatten so viel Kraft, das Wasser unter meinem Board verhielt sich so anders als bei den kleinen Wellen, dass ich es einfach nicht unter Kontrolle kriegen konnte. Die Verzweiflung in mir und den Coaches stieg, zumal man sich nach jedem Versuch wieder durch die entgegenkommenden Wellen kämpfen muss. Ich war fix und alle. Keuchend, mit brennenden Armen und Rücken (wer mal ein paar Stunden paddelnd auf einem Surfbrett verbracht hat, weiß wovon ich spreche) und mit immer noch nicht einer gestandenen Welle. Die Coaches waren super und versuchten wirklich alles um mich irgendwie auf die Welle zu bekommen, schubsten mich an, zogen mich durch die brechenden Wellen wenn ich nicht mehr paddeln konnte und hielten sich nicht mit aufmunternden Worten zurück. 
Und dann, wie durch ein Wunder, klappte es: die Welle kam, ich paddelte, der Coach schubste, und auf einmal stand ich. Hinter mir die unglaubliche Kraft der brechenden Welle, unter mir der Strom des sich aufbäumenden Wassers. Zwar können es nicht viel mehr als 150m bis zum Strand gewesen sein, aber es fühlte sich an als würde ich für Minuten surfen. Durch die Beschaffenheit des Meeresbodens brach die Welle sogar ein zweites Mal auf dem Weg zum Strand, und auch diesmal schaffte ich es oben zu bleiben. Als ich mich dem Strand näherte hörte ich die Pfiffe und Schreie der Leute, Philip und unsere Surfkollegin, aber auch wildfremde Leute die das ganze beobachtet hatten. Als ich schließlich im Sand angekommen war, sprang ich vom Brett, riss die Arme nach oben und schaute zurück ins Meer - wo mir drei grölende und jubelnde Surflehrer entgegenblickten. Ich fühlte mich wie der König der Welt! Nicht nur die Geschwindigkeit und die Kraft der Welle, sondern auch die Reaktion von anderen, absolut fremden Leuten - Surfer sind eben doch eine ganz besondere Sorte Mensch. 





Und so ging die Woche zu Ende! Es kamen noch zahlreiche Schnitte, blaue Flecken und Pasteis del Nata hinzu, und am Ende waren wir rundum glücklich und jede Faser unseres Körpers schmerzte. Da unser Flug erst am Abend ging nahmen wir alle Zeit der Welt und fuhren an der Küste entlang zurück Richtung Lissabon - inklusive einem Stop an einer Strandbar, in der wir ganz untypisch für uns einfach stundenlang saßen und auf die Wellen schauten. Das hatten wir uns verdient. 






Cheers!