Sonntag, 26. Juni 2016

Das böse Erwachen

Hi Folks,

schon in den ganzen letzten Tagen hat mich so eine diffuse Unruhe heimgesucht. Zwar wollte ich mich nicht verrückt machen lassen, aber irgendwie unwohl war mir schon. Als ich am Donnerstag abend nach einer Geburtstagsfeier so gegen Mitternacht ins Bett gegangen bin, und die ersten Wahlergebnisse des Referendums eingetrudelt waren, hatte sich meine Unruhe etwas gelegt. Alle bis dahin ausgezählten Local Authorities hatten für den Verbleib in der EU gestimmt. Alles lief nach Plan und ich konnte beruhigt schlafen gehen. 

Als ich gegen 02.00Uhr aufgewacht bin, die Website der BBC als Startseite auf meinem Handy gespeichert, bestätigte mich der aktuelle Stand. Obwohl gerade erst zwei Millionen Stimmen ausgezählt waren, waren die Remainer weiterhin im Vorsprung. Alles war gut.

Das änderte sich und ein leichtes Gefühl der Panik stieg in mir auf, als ich kurz vor 5 noch einmal überprüfte, wie der Stand ist. Nur noch die Stimmen von 17 Local Authorities fehlten und Leave war mit 200.000 Stimmen im Vorsprung. Nur mit viel Mühe konnte ich danach wieder einschlafen. 

Und kurz darauf kam das böse Erwachen. Noch bevor der Wecker klingelte wurde ich wieder wach, diesmal mit dem Wissen, dass das Ergebnis fest stünde: ein schneller Blick auf mein Handy, gefolgt von Schockstarre und dem verzweifelten Wecken von Philip, der neben mir noch gar nichts von all dem mitbekommen hatte.
Es war wirklich passiert. Die Briten sind ausgetreten. Bye bye EU.

Im ersten Moment waren wir einfach nur geschockt. Zwar wusste man die ganze Zeit dass diese Möglichkeit im Raum stand, aber dass es wirklich passieren würde, damit haben wir nicht gerechnet. Schnell stellten wir uns die naheliegenden Fragen, werden wir hier bleiben dürfen, brauchen wir ein Arbeitsvisum, wie werden sich Flug- und Lebenshaltungskosten entwickeln. Wollen wir überhaupt noch hier bleiben.
Nachdem wir im Frühstücksfernsehen David Cameron und seine Rücktrittsankündigung gesehen haben, habe ich mich auf dem Weg zur Arbeit gemacht. Begleitet von zartem Nieselregen und schottischen Morgennebel, radelte ich einmal quer durch die Innenstadt und sah sehr viele geschockte Gesichter. Das selbe bei meinen Kollegen - erwartet hat das Ganze keiner. Man hatte das Gefühl, den ganzen Freitag über war das Land in einer Art Schockstarre aus Überraschung, Ratlosigkeit und Verzweiflung. Das größte Problem dabei ist, dass keiner so wirklich weiß was jetzt passieren wird. 

Schnell wurde nach dem Ergebnis die Frage nach einem zweiten schottischen Referendum laut. Schottland hatte 2014 mit 55% gegen eine Abspaltung von Großbritannien gestimmt, das EU Referendum könnte allerdings die Karten komplett neu mischen. Mehr als 60% wollten in der EU bleiben, fühlen sich nun ihrer Identität beraubt und von England abermals bevormundet. Nicht ein einziger Wahlkreis hat für den Austritt gestimmt. Viele mit denen ich gesprochen habe sagten sie hätten damals gegen die Unabhängigkeit gestimmt - bevor sie allerdings aus der EU austreten würden sie in einem erneuten Referendum ihre Meinung ändern. Andere wiederrum sagen sie sind es leid ständig über so elementare Dinge entscheiden zu müssen. Sie wollen einfach Ruhe und erstmal sehen, wie sie mit der neuen Situation klarkommen. 

Heute, nach dem man den Schock ein kleines bisschen verdaut hat, ist die Situation sehr seltsam. Auf der einen Seite stellt man jetzt fest, dass sich erstmal überhaupt nichts ändert. Zwar war das irgendwie logisch, in der Hysterie von Freitag aber erstmal untergegangen. Für die nächsten zwei Jahre (wenn die EU denn noch so lange mitspielt) werden wir auf jeden Fall hierbleiben, arbeiten und soziale Dienstleistungen beanspruchen können. Auf der anderen Seite herrscht auch eine gewisse Aufbruchsstimmung, gemischt mit Ratlosigkeit. Die Schotten wollen gerne aktiv werden, etwas für ihr Land tun und ihre Unabhängigkeit erkämpfen. Doch wie wird das gehen? Und wird danach wirklich alles besser sein? Was wid die Zukunft bringen? 
Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als eine Tasse English Scottish breakfast tea zu trinken und abzuwarten. 

Cheers!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen