Donnerstag, 20. November 2014

100 giorni italiani - Zeit für ein kleines Zwischenfazit!

Ciao Ragazzi,

100 ganze Tage bin ich jetzt schon in Bella Italia. 100 Tage in denen ich kein anderes Land betreten habe (wenn man bedenkt dass ich sonst jede Woche nach Polen gefahren bin, komme ich mir jetzt wesentlich un-internationaler vor), 100 Tage in denen so viel passiert ist. Zeit für ein kleines Zwischenfazit.

Das Wichtigste erst einmal vorneweg: ich bin immer noch glücklich in Italien. Obwohl ich natürlich verwirrende und schockierende Dinge erlebt habe, bin ich immer noch verliebt in Land und Leute. Ich bin heute froh wie am ersten Tag, die Entscheidung für Italien getroffen zu haben, und noch lange nicht an einem Punkt, an dem ich wieder nach Deutschland will. 100 Tage waren noch nicht lang genug für Italien, um mich zu verschrecken!
In den ersten 100 Tagen meines Auslandsabenteuers habe ich schon so viel gesehen und erlebt, wie ich es mir zwar immer gewünscht habe, es aber nie für realistisch gehalten habe. Wenn man sich eine Karte Italiens vorstellt, gibt es kaum noch eine Gegend rund um Bologna, die ich noch nicht gesehen habe. Hinzukommen etwas weiter entfernt Rom und die Gegend um Neapel. Dank vieler super organisierter Erasmusreisen habe ich Orte gesehen, die ich alleine in meinem Aulandsjahr wohl nie bereist hätte. Und dabei habe ich immer wieder festegestellt, wie sehr ich diesem Land, seiner Architektur und Kunst verfallen bin. 

Doch auch in Bologna fühle ich mich außerordentlich wohl. Ich mag die Stadt, die mich immer wieder so sehr an meine geliebte Heimatstadt erinnert. Die den perfekte Mix aus Großsstadt und "nicht-zu-groß-dass-es-zu-anstrengend-ist" darstellt. Die viele kleine Theater hat, aber auch eine große Oper, mit Ballett und Schauspiel. Die die angesagten Läden nicht nur einmal, sondern gleich drei oder viermal hat. Die Charme hat. Die Charakter hat, und nicht nur eine große Touristenstadt ist, wie man sie viel zu oft in Italien antrifft. Ich glaube inzwischen dass Leipzig und Bologna aus gutem Grund Partnerstädte sind: sie bieten beide alles was man braucht, um sich wie in einer richtigen Stadt zu fühlen, sie haben beide coole Persönlichkeiten und schräge Typen, die man nur in einer große Stadt findet, sie haben internationale Bedeutung. Und trotzdem haben sich beide eins behalten: das Menschliche. Es sind keine Städte die mega abgehoben sind wie Berlin oder Mailand, nur noch hektisch und anonym bis ins Unendliche. Vielmehr sind es beides Städte, die sich etwas von ihrer Eigenheit behalten haben, die stolz auf ihre Geschichte und auf ihr Vermächtnis sind, und das auch gerne zeigen. Die nicht alles mit sich machen lassen, was der Tourist oder die Wirtschaft gerne sehen würde. Weil sie das gar nicht nötig haben. 
Deswegen kann ich inzwischen sagen, dass ich mich in Bologna inzwischen genauso zu Hause fühle, wie ich es in Leipzig tue. Und wie ich es auch nach zwei Jahren Studium in Görlitz niemals getan habe.

Außerdem genieße in in vollen Zügen das Erlebnis Erasmus: viel herumreisen, viel studieren, und noch viel mehr Leute aus allen Ländern dieser Welt kennen lernen. Ich wohne zusammen mit einer Mexikanerin, einer Russin, einer Turkmenin und einer Ukrainerin. Meine besten Freundinnen kommen aus England und Wales. In meinem Chor verstehe ich mich am besten mit Amerikanerinnen, einer Niederländerin, einer Neuseeländerin und Italienern. In meinem engeren Freundeskreis sind Mädels aus Belgien, Frankreich, Australien. Es ist einfach unglaublich, dass man Leute kennen lernt, die einem sagen sie kommen aus Los Angeles oder Sydney. Städte, die für uns so unglaublich weit weg und exotisch klingen, in denen wir uns selber einmal im Leben sehen möchten. Und das noch viel kuriosere ist, dass es für diese Menschen ein Traum ist, einmal nach Europa zu kommen. Nicht nur einmal wurde ich von Leuten, die vom anderen Ende der Welt kommen, mit weit aufgerissenen Augen gefragt: "Was, kommst du aus DEM Leipzig? Dem von Bach und der alten Universität?!" Und als ich diese Frage bejahte, waren sie an der Reihe, total aus dem Häuschen zu sein, wie ich es vorher wegen Los Angeles war. Die Welt ist doch verrückt. 

Wie sehr man also verwöhnt ist von der eigenen Heimat, und wie glücklich man sich manchmal schätzen sollte, in einem Land wie Deutschland aufzuwachsen, wird einem im Auslandsjahr auch sehr schnell bewusst. Von kleinen Dingen, wie Haferflocken, Leberwurst oder einem ordentlichen Schnitzel, was man hier einfach nicht bekommt, über "In Deutschland legt die Regierung nicht fest, wann ich meine Heizung anmachen darf", bis dazu, dass man sich fragt wie die vielen Obachlosen hier die inzwischen doch sehr kalten Nächt überstehen, da es in Italien bei weitem nicht so eine gute Sozialhilfe gibt wie in Deutschland. Der Spruch "Man lernt erst etwas zu schätzen, wenn man es nicht mehr hat", hat sich in meinem bisherigen Auslandsaufenthalt leider sehr schnell bewahrheitet. Was haben sich meine Komilitonen manchmal aufgeregt, dass das BAföG solange auf sich warten lässt. In Italien gibt es sowas nicht, und hier muss man auch noch ca. 2500€ Studiengebühren pro Jahr zahlen.

So gibt es natürlich auch einige Sachen an meinem Auslandsjahr, die nicht so verlaufen, wie ich es mir gewünscht hatte. So habe ich jetzt erkannt, dass ich wohl vollkommen unrealistische Vorstellungen davon hatte, wie schnell ich Italienisch lernen würde. Alle Leute haben mir vor meiner Abfahrt gesagt: "Vier Wochen, dann sprichst du fließend Italienisch." Leute, ich kann euch sagen, ihr lagt sowas von daneben.
Nach 100 Tagen finde ich meine Sprachkentnisse immer noch ziemlich mau. Zwar kann ich mich unterhalten, und kann meinen Vorlesungen auch mit mehr oder weniger Erfolg folgen, aber es ist noch lange nicht so, dass ich fließend Italienisch sprechen kann. Dabei gebe ich mir alle Mühe. Ich habe ein Sprachtandem, nehme an einem organisierten Konversationskurs teil und lerne zu Hause noch jeden Tag Vokabeln. Und trotzdem gibt es noch zu häufig Situationen, in denen ich nichts verstehe, oder mich nicht ausdrücken kann. Und das ist frustrierend. Nun darf man nicht vergessen, dass ich vorher nur so richtig ein Jahr Italienisch gelernt habe, und ich ja auch noch für über 6 Monate in Italien seind werde, aber für einen so dickköpfigen Menschen wie mich ist das manchmal schwer einzusehen. 

Auch die Suche nach italienischen Freunden hat sich leider als sehr viel schwieriger ergeben, als anfangs gedacht. Denkt man doch von den Italienern immer, sie seien so kontaktfreudig, nehmen einen gleich mit offenen Armen in Empfang, und erzählen dir ihre ganze Lebensgeschichte. So sind sie auch. Und genau darin liegt das Problem!
Es ist nämlich leider unglaublich schwer zu erkennen, wer von denen wirklich an einer Freundschaft interessiert ist, und wer nur nett sein will. Als seriöser und zurückhaltender Deutscher denkt man gleich, die Italiener lieben einen alle, weil sie so viel privates und persönliches gleich beim ersten Treffen erzählen. Das Ding ist nur, dass sie das mit jedem machen. Und leider meistens nicht so sehr daran interessiert sind, anstrengende, "wirkliche" Freundschaften aufzubauen, wenn sie erfahren dass du in 6 Monaten wieder weg bist. Nicht nur einmal habe ich es erlebt, dass mir ein Italiener von seinen Schwierigkeiten in der WG oder mit der Oma erzählt hat, und mich in der nächsten Vorlesung nicht mehr kannte. Was schade ist, aber irgendwie auch nicht zu ändern.
So kommt es dazu, dass man die meisten Aktivitäten außerhalb der Uni dann doch mit den Erasmusstudenten macht. Und meine sehr enge Freundin Ellie aus England hat mir erst letztens mit ihrem very british accent erklärt: "Jetzt ist es eh zu spät. Für 3 Monate findest du keine italienischen Freunde mehr. Und eigentlich ist es doch auch egal. Wir haben ja uns." Erst wollte ich mich daran stören, und entgegnen dass ich ja eigentlich hier bin, um Kontakte mit Italienern zu knüpfen. Aber noch bevor ich irgendetwas gesagt habe, ist mir klar geworden, dass sie eigentlich Recht hat. Ich bin froh so viele internationale und wirklich gute Freunde zu haben, und würde diese für keinen Italiener der Welt aufgeben. 

Womit wir auch wieder zur wichtigsten Erkentniss kommen: Meine Freundinnen aus Deutschland fragen mich immer, ob ich mich nicht total auf zu Hause freue. Und natürlich freue ich mich darauf, Weihnachten einmal wieder deutschen Boden zu betreten, mal wieder in meinem eigenen Bett zu schlafen, und endlich wieder ein ordentliches Schnitzel zu essen (ihr seht, dieses Thema beschäftigt mich hier sehr!). Aber eigentlich ist es nicht Deutschland, was ich vermisse. Ich habe zwar erkannt, dass Deutschland viele Vorteile hat, aber so gravierend dass ich deswegen jetzt wieder zurück will, ist es eigentlich nicht. Ich glaube ich werde in meinem Leben nicht ein bestimmtes Haus, eine Stadt, oder ein Land vermissen. Ich kann an jedem Ort leben. Was ich erkannt habe in den letzten 100 Tagen, ist, dass man nicht die Heimat an sich vermisst. Man vermisst die Menschen, die mit einem zusammen diesen Ort zur Heimat gemacht haben. 
Ich vermisse meine Mama, die lautstark in der Küche nießt, sodass man denkt das Haus würde gleich zusammenbrechen. Ich vermisse meinen Papa, der abends vor dem Fernseher einschläft, und dann so tut als ob es keiner mitbekommen hätte. Ich vermisse, wie mein Freund mich ständig in den Bauch piekst, obwohl ich das auf den Tod nicht ausstehen kann. Ich vermisse das ständige Generve meine Schwester, doch bitte noch eine Decke für das Pferd haben zu dürfen. Ich vermisse das etwas dürftige Pfeifen meines Bruders, was nur er so kann. Und ich vermisse selbst meine Katze, die sich auf meinen Beinen zusammenrollt, und sich streicheln lässt, aber nur bis zu dem Zeitpunkt an dem das Schnurren aufhört und sie zur Bestie wird, und versucht mich aufzufressen. 

 Diese Dinge sind es, die man vermisst wenn man alleine im Ausland ist. Denn obwohl man vorher tausend Ängste hat, was alles passieren könnte, ist die einzige wirkliche Angst, die am Ende bleibt, einsam zu sein.

In diesem Sinne freue ich mich auf noch viel mehr Abenteuer, die ich in meinem Leben im Ausland begehen werde, denn am Reisen und Entdecken habe ich absolut Blut geleckt. Ich möchte noch so viel in Italien erleben, aber auch darüber hinaus. So viele andere Länder kennen lernen, und an meinem Plan festhalten, am Ende meines Lebens einmal auf jedem Kontinent gelebt zu haben. 

Nur eins habe ich für mich selbst festgelegt: Ich werde nirgendwo mehr ganz alleine hingehen!


Bacci!

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